Was ist die Beweislastumkehr im Hinweisgeberschutzgesetz?

Mitarbeiter müssen vor Ungleichbehandlung, Diskriminierung, Repressalien, einer unbegründeten Kündigung und anderen Nachteilen geschützt werden. Schon jetzt gibt es mit dem Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB ein Gesetz, das Mitarbeiter vor Repressalien durch den Arbeitgeber schützen soll.

Im Fall von Whistleblowing ist das besonders wichtig. Die Aufdeckung von Missständen und Gesetzesverstößen führt nicht selten zu Nachteilen für einzelne Mitarbeiter oder das Unternehmen, weshalb Whistleblower womöglich Vergeltungsmaßnahmen zu fürchten haben. Das können eine Kündigung, Versetzung oder Repressalien sein. Die Beweislastumkehr soll Whistleblower vor Nachteilen schützen, die ihnen aufgrund ihrer Meldung entstehen. 

Dennoch sollten Unternehmen Mitarbeiter explizit darauf Hinweisen, dass die vorsätzliche oder grob fahrlässige Einreichung von Falschmeldungen sanktioniert wird. Das erfolgt am besten im Rahmen einer Schulung zum digitalen Hinweisgebersystem und in Form einer Richtlinie, die für alle Mitarbeiter zugänglich hinterlegt wird. 

Wie funktioniert die Beweislastumkehr?

Leidet ein Hinweisgeber nach Abgabe einer Meldung unter Repressalien oder anderen Nachteilen wie zum Beispiel einer Kündigung, wird zu seinen Gunsten angenommen, dass diese Nachteile eine Konsequenz aus der von ihm abgegebenen Meldung sind. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall nachweisen, dass zwischen den beruflichen Nachteilen und der Meldung des Hinweisgebers kein Zusammenhang besteht. Die Beweislast wird also umgekehrt. 

Wörtlich heißt es in §36 im Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz:

„Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine
Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. In diesem Fall hat die Person, die die hinweisgebende Person benachteiligt hat, zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.“

Die Meldung von Verstößen ist ein Balanceakt zwischen dem Interesse des Hinweisgebers und dem Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens. Whistleblower stehen bislang vor der Frage, ob eine Meldung zulässig und gerechtfertigt ist. Das sorgt für Unsicherheit und viele Mitarbeiter entscheiden sich gegen eine Meldung, um mögliche negative Konsequenzen durch den Arbeitgeber zu vermeiden. Das Hinweisgeberschutzgesetz und insbesondere die darin geregelte Beweislastumkehr sollen Hinweisgebern diese Unsicherheit nehmen. 

Verstößt ein Unternehmen gegen das Verbot von Repressalien, ist es gegenüber dem Hinweisgeber laut §37HinSchG zu Schadenersatz verpflichtet:
„Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien ist der Verursacher verpflichtet, der hinweisgebenden Person den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“

Damit wird es für Unternehmen künftig deutlich schwieriger, Whistleblowing zu sanktionieren. 

Zwischenfazit: Das Hinweisgeberschutzgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Beweislastumkehr schützt Whistleblower effektiv vor Sanktionen durch den Arbeitgeber. 

Führt die Beweislastumkehr zu einem Missbrauch des HinSchG?

So hilfreich die Beweislastumkehr zum Schutz von Hinweisgebern auch ist: Aus der Regelung erwächst auch eine Missbrauchsgefahr. Mitarbeiter könnten sich vor einer Kündigung oder anderen beruflichen Nachteilen schützen wollen, indem sie durch die Abgabe einer Meldung zum Hinweisgeber werden. Ist erst einmal der Status als Whistleblower erreicht, können Mitarbeiter nur schwer gekündigt werden. Denn gemäß der Beweislastumkehr müsste der Arbeitgeber dann beweisen, dass die Kündigung nicht in Zusammenhang mit Whistleblowing steht. 

Zwar hat der Arbeitgeber nichts zu befürchten, wenn die Meldung tatsächlich nichts mit der Kündigung zu tun hat. Allerdings kann der Beweis dafür in einer aufwendigen gerichtlichen Auseinandersetzung resultieren. Womöglich ist es für Unternehmen dann einfacher, nicht auf die Kündigung des Mitarbeiters zu pochen. Im Worst Case kann nicht nachgewiesen werden, dass der Hinweisgeber nicht zu seinem eigenen Vorteil gehandelt hat, und der Arbeitgeber hat das Nachsehen. 

Hier schreitet das Hinweisgeberschutzgesetz jedoch zum Schutz der Unternehmen ein. In § 38 HinSchG ist geregelt, dass Hinweisgeber bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung falscher Informationen ebenfalls zu Schadenersatz verpflichtet sind:

„Die hinweisgebende Person ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus einer
vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen
entstanden ist.“

Zudem dürfen Mitarbeiter sich nicht die Hoffnung auf Vorteile durch den Status als Whistleblower machen, denn ein Verstoß gegen das Verbot von Repressalien bedeutet laut § 37 HinSchG keinen Anspruch auf einen beruflichen Aufstieg oder andere Vorteile: 

„Ein Verstoß gegen das Verbot von Repressalien begründet keinen Anspruch auf
Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses o-
der eines anderen Vertragsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg.“

Somit ergeben sich für Whistleblower aus der Beweislastumkehr keine Vorteile. 

Missbrauch der Beweislastumkehr vermeiden

Offene Kommunikation und transparente Unternehmenskultur

Der beste Weg, um einen Missbrauch der Beweislastumkehr zu vermeiden, ist eine offene, transparente und respektvolle Unternehmenskultur. Mitarbeiter sollten nicht das Gefühl bekommen, sich durch den Status als Whistleblower vor einer Kündigung oder Versetzung schützen zu müssen. Durch eine offene Kommunikation und regelmäßige Mitarbeitergespräche entstehen keine Befürchtungen oder Vermutungen, sondern Mitarbeiter wissen jederzeit, woran sie sind – auch dann, wenn eine auf der Leistung oder wirtschaftlichen Maßnahmen basierende Kündigung oder Versetzung droht. Ist im Unternehmen zwischen allen Mitarbeitern und Führungskräften eine Kommunikation auf Augenhöhe möglich, entsteht auch nicht der Wunsch, einzelnen Personen mit einer Meldung bewusst schaden zu wollen. 

Kündigung und Versetzung nachvollziehbar begründen

Unternehmen sind zusätzlich gut damit beraten, die Leistungen von Mitarbeitern, Ergebnisse aus Feedbackgesprächen und wirtschaftliche Überlegungen, die in einer Kündigung oder Versetzung resultieren könnten, sorgfältig zu dokumentieren. So haben sie im Falle der Beweislastumkehr eindeutige Beweise, dass die unternehmensinterne Entscheidung nichts mit einem eingereichten Hinweis zu tun hat. 

Konflikte über die interne Meldestelle klären 

Letztlich sollten Unternehmen immer daran arbeiten, Hinweise zu Missständen und Gesetzesverstößen direkt intern zu klären, um Konflikte vor Gericht zu vermeiden. Andernfalls entscheiden sich Whistlelbower womöglich für did Nutzung einer externen Meldestelle, was eine staatliche Einmischung unvermeidlich macht und vielleicht sogar zu einem Gang an die Öffentlichkeit und damit einer Rufschädigung führt. Unternehmen sollten sich daher darum bemühen, die interne Meldestelle möglichst attraktiv zu gestalten. Dazu gehören die Möglichkeit auf eine anonyme Meldung, ein objektiver und vertrauenswürdiger Meldestellenbeauftragter sowie eine einwandfreie Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Hinweisempfänger. 

Fazit zum Beweislastumkehr im Hinweisgeberschutzgesetz

Der Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz sieht bereits einen Schutz von Unternehmen gegen einen Missbrauch der Beweislastumkehr vor. Ob dieser ausreichend ist, werden konkrete Fälle nach Inkrafttreten des HinSchG zeigen. Womöglich wird das Hinweisgeberschutzgesetz hinsichtlich einer Missbrauchgefahr jedoch noch nachgebessert: Nachdem das Hinweisgeberschutzgesetz am 10. Februar beim Bundesrat durchgefallen ist, geht die Whistleblower-Richtlinie in Deutschland jetzt in den Vermittlungsausschuss. Die Entwicklung bleibt spannend, doch fest steht: Das Hinweisgeberschutzgesetz mitsamt Beweislastumkehr kommt.