Das Urteil: Die Arbeitszeiterfassung ist Pflicht in Deutschland

Dieses Urteil kam überraschend: Ab jetzt ist die Arbeitszeiterfassung in Deutschland Pflicht. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. September 2022 beschlossen. Vor dem Urteil war viel über das Arbeitszeitgesetz diskutiert worden. Mit dem Machtwort des BAG müssen Arbeitgeber sich jetzt verpflichtend an die Arbeitszeiterfassung, die jetzt für die gesamte Arbeitszeit gilt, halten. Bislang mussten nach dem Arbeitszeitgesetz nur Überstunden oder Arbeit an Sonntage erfasst werden.

Ein Einzelfall als Auslöser

Bundesarbeitsgericht

Dieses Urteil ist das Ergebnis eines Einzelfalls, bei dem geklärt werden sollte, ob ein Betriebsrat auf ein elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem bestehen kann. Der Arbeitgeber des betreffenden Betriebsrats wollte sich mit diesem Thema nicht befassen. Das Arbeitsgericht in Minden und das Landesarbeitsgericht in Hamm kamen zu keiner Einigung, und so nahm sich das BAG dieses Falls an. Nun wurde daraus resultierend kurzerhand ein überraschendes Grundsatzurteil gefällt, das Auswirkungen auf alle Unternehmen in Deutschland hat.

Begründet wird das Urteil mit dem „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshof, nach dem das deutsche Arbeitsschutzgesetz ausgelegt werden soll. Das BAG orientiert sich also am Arbeitsschutzgesetz, nicht am Arbeitszeitgesetz. Das „Stechuhr-Urteil“ wurde schon im Jahr 2019 vom EuGH gefällt. Es verpflichtet Arbeitgeber in allen EU-Staaten dazu, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Die genaue Umsetzung blieb jedoch jedem EU-Staat selbst überlassen. Seitdem war abzusehen, dass die Arbeitszeiterfassung in Deutschland Pflicht werden soll – nur die Spontaneität des Inkrafttretens der Verpflichtung überrascht. Denn seit Verkündung des „Stechuhr-Urteils“ lag das Thema bei der Bundesregierung auf Eis.

Arbeitschutz

Ein neues Gesetz wurde jedoch nicht ausgerufen. Vielmehr hat das BAG das bereits bestehende Gesetz § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) konkretisiert:

„(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. […]“

Diese Formulierung ist wie so oft bei Gesetzestexten Auslegungssache. Demnach hat der Arbeitgeber nur dafür Sorge zu tragen, dass Maßnahmen zum Arbeitsschutz bestehen und umgesetzt werden. Für das BAG gehört dazu, wie nun klar ist, offenbar auch die Arbeitszeiterfassung. Damit gibt es keinen Puffer, bis ein neues Gesetz verabschiedet ist. Stattdessen ist die Arbeitszeiterfassung von jetzt auf gleich gültig.

Die Folgen des Urteils

Durch die Arbeitszeiterfassung soll eine Ausbeutung der Arbeitnehmer, zum Beispiel in Form von unbezahlten Überstunden, verhindert werden. Doch die gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung wird sich womöglich negativ auf die auf Vertrauen basierenden Arbeitszeitmodelle auswirken. Auch Arbeitszeitmodelle wie Remote- Arbeit in Teilzeit oder Vollzeit und Home-Office bei Bedarf werden mit dem neuen Urteil schwerer umzusetzen sein – und das so kurz, nachdem diese Arbeitsformen im Zuge der Pandemie einen starken Aufschwung erlebt haben. Unternehmen stehen jetzt vor der Herausforderung, für diese Arbeitszeitmodelle Methoden der Zeiterfassung zu finden.

Was müssen Unternehmen jetzt tun? Genau das ist bislang nicht genau festgelegt. Es ist also nicht gesetzlich vorgegeben, wie der Arbeitgeber die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter zu erfassen hat. Ob Unternehmen also auf ein elektronisches Zeiterfassungssystem, auf eine Software oder auf Apps setzen, bleibt ihnen überlassen.

Was bedeutet die Arbeitszeiterfassung für den Datenschutz?

Arbeitszeitspeicherung

Die Erfassung von Arbeitszeit bedeutet einen weiteren Vorgang, bei dem unternehmensintern personenbezogene Daten der Mitarbeiter gesammelt und verarbeitet werden. Da die Arbeitszeit direkt mit dem Arbeitnehmer verknüpft ist, handelt es sich zweifellos um personenbezogene Daten, die den Gesetzen der DSGVO unterliegen.

Unternehmen müssen sich also an eine DSGVO-konforme Verarbeitung dieser Daten halten. Das Datenschutzkonzept muss also angepasst werden; eine Aufgabe, mit der Unternehmen jeder Größe in ganz Deutschland sich nach Verkündung des Urteils konfrontiert sehen. Dabei gibt es viele Aspekte zu beachten:

  • Wichtig ist hier vor allem die Frage nach der Zweckbindung der Arbeitszeiterfassung. Die Daten dürfen nicht verwendet werden, um die Arbeitsleistung oder Aufenthaltsorte von Mitarbeitern zu kontrollieren.
  • Auch die Speicherdauer muss beachtet werden. Die Daten zur Arbeitszeit dürfen nicht länger als nötig aufbewahrt werden, dürfen aber auch nicht vor dem Ende der Aufbewahrungspflicht gelöscht werden. Die Aufbewahrungspflicht liegt in der Regel bei zwei Jahren.
  • Sofern das Unternehmen zur Bildung eines Betriebsrats verpflichtet ist, ist dieser in die Planung der Maßnahmen zum Datenschutz bei der Arbeitszeiterfassung miteinzubeziehen. Der Betriebsrat hat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht beim Arbeitsschutz, worunter nun auch konkret die Arbeitszeiterfassung fällt. Dem Betriebsrat muss daher auch das Recht eingeräumt werden, zu intervenieren, falls der Verdacht auf Datenschutzverstöße, zum Beispiel in Form einer Leistungskontrolle, besteht.
  • Auch die Einsicht in die Arbeitszeiten muss genau geregelt werden. Es sollten nur so viele Personen wie unbedingt erforderlich dazu befugt sein, die Arbeitszeiten einzusehen. Nach dem Grundsatz der Datenminimierung ist es in einigen Fällen auch ausreichend, nur anonymisierte Daten einsehen zu lassen.
  • Der Aushang von Dienstplänen und Schichtplänen ist in vielen Unternehmen bewährte Praxis, aber nicht immer DSGVO-konform. Auch hier muss unternehmensintern also vorab geprüft werden, ob der öffentliche Aushang datenschutzrechtlich in Ordnung ist oder nicht.

Frank-Muens

In welchem Umfang der Arbeitgeber Einsicht in die Arbeitszeiten nehmen kann und in welcher Form stichprobenartige Kontrollen erfolgen dürfen, ist vor allem in Zeiten von Home-Office und Telearbeit in Vollzeit oder Teilzeit für viele Arbeitnehmer relevant. Denn während vor Ort kaum ein Weg daran vorbeiführt, die Arbeitszeiten einzuhalten und vielmehr Überstunden eingedämmt werden müssen, basiert die Remote-Arbeit auf Vertrauen zum Arbeitnehmer. Mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung scheint nun vielmehr zu gelten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Doch nach wie vor haben Arbeitgeber die volle Freiheit, wenn es darum geht, in welcher Form sie die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen. Das bedeutet, dass das Urteil des BAG dem Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keinen Abbruch tun muss. Denn die Erfassung der Arbeitszeit muss nicht bedeuten, dass jegliche Flexibilität verschwindet und Unternehmen nicht mehr offen für flexible Arbeitszeitmodelle sind.

Die wichtigste Konsequenz für Unternehmen aus dem Urteil ist also tatsächlich die Notwendigkeit für eine Methode zur Arbeitszeiterfassung und ein Datenschutzkonzept, dass die Arbeitszeiterfassung miteinschließt.

Viele Unternehmen dürften mit der Entscheidung des BAG überrumpelt worden sein. Sie auch? Als externer Datenschutzbeauftragter unterstützen wir Sie bei der Implementierung von Maßnahmen für eine DSGVO-konforme Arbeitszeiterfassung. So können Sie sich auf die Prozesse zur Arbeitszeiterfassung konzentrieren und alle offenen Fragen mit Ihren Mitarbeitern klären, während wir uns um die datenschutzrechtliche Seite der Thematik kümmern.